/\ Das zündende Mikro 2021 – Die Nominierten

Debüthörstücke (#DZM) in alphabetischer Reihenfolge. Alle Visuals von Josef Maria Schäfers.

Der Förderpreis des 12. Berliner Hörspielfestivals 2021 /\ Das zündende Mikro geht an Annedore Bauer für ihr Stück Die Unantastbaren.

Liebe Annedore Bauer,

Du hast uns überzeugt, dass Du eine geniale Debütantin bist! Dein Erstlingswerk „Die Unantastbaren“ nimmt durch ein hervorragendes Manuskript für sich ein, das gekonnt zwischen subjektivem Erleben und objektiver Betrachtung mäandert. Deine poetischen Bilder – ich denke nur an: „Renzo – sein Arm ein knorriger Ast. Der Baum vor dem Fenster ist er. Irgendwie immer schon“ lassen mit minimalen Mittel eine Welt entstehen.

Lebendig und berührend erzählst Du aus der erinnernden Sicht Deiner Kindheit über das Thema Euthanasie an behinderten Menschen, das vor Deiner Zeit stattgefunden hat und dennoch prägend für Dein Weltverhältnis ist. In Deinem Stück heißt es: „Irgendwo da muss das angefangen haben mit dem Schweigen, keine 2 Schritte links vom Gemüsebeet.“ – danke, dass Du das Schweigen hörbar gemacht hast!

Es ist auch die Meisterschaft Deines Schauspiels, Annedore, das einem schlicht den Atem raubt.  Wie Du es schaffst, von der sachlichen O-Tongeberin in die Rolle Deiner selbst als Kind zu schlüpfen, wie Du zwischen rückhaltloser Auflösung und erzählerischer Fassung zu wechseln vermagst. Wie Du nicht davor zurückschreckst ganz nackt dazustehen mit all Deinen Gefühlen, ohne dabei sentimental zu werden. Du bist hier Schauspielerin und Figur in einem, was für ein Drahtseilakt.

All das ist ganz und gar aus dem akustischen Medium heraus gedacht und komponiert: Ganz stark sind die klanglichen Atmosphären, die verschiedenen akustischen Schauplätze, die verschiedenen Stimmqualitäten und nicht zuletzt der Einsatz der Musik – all das ist integraler Bestandteil Deines Stückes und erzählt die Geschichte auf anderen Ebenen weiter. Ein „arteigenes Sendespiel“ nach allen Regeln der Kunst.

Du hast in Form einer Kindheitserzählung Zeitgeschichte aufgearbeitet und genuine Hörkunst daraus gemacht. „Keine fette Narbe. Einfach eine Unverträglichkeit an der Welt. Daraus macht man kein Projekt“? Nein, das macht man nicht. Man macht daraus Kunst, wenn man es kann. Du kannst es und von Dir wollen wir gerne mehr hören!

Der Preis besteht in einer Zumutung: wir fordern Dir ein neues Stück ab, wie es der Zöllner in Brechts Gedicht von der Entstehung des Buches Taoteking dem Philosophen Laotse abgefordert hat. Damit Dir das etwas leichter fällt, darfst Du dieses neue Stück im legendären Studio für elektroakustische Musik der Akademie der Künste produzieren. Bis zu vier Tage mit technischer Betreuung durch die dortigen Toningenieure stehen zur Verfügung – und einen kleinen Produktionskostenzuschuss in Höhe von 300,- Euro gibt es auch noch. Nächstes Jahr möchten wir das maximal 20-minütige Ergebnis außer Konkurrenz auf unserem Festival präsentieren. Wir sind jetzt schon gespannt und wir freuen uns darauf.

Annedore Bauer: Die Unantastbaren / 58:27

Eine Kleinstadt in der BRD der 1970er und 1980er Jahre. Dort erlebt sie ihre Kindheit in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen. Draußen: Esspapier, amerikanische Soldaten und die Fahndungsplakate der RAF. Drinnen: eine protestantisch geprägte Welt inmitten nicht perfekter Körper. Ein Hörspiel voller Widersprüche. Über das Erinnern, die Sehnsucht nach heiler Kindheit und die erneut dringliche Frage: Was wird mit jenen, die sich nicht optimieren können?

Viola Gabor: Klangspiel Corona Ciao / 19:09

Es handelt sich um ein reines O-Ton Klangspiel. Es wurden Gedanken, Lieder und Geräusche in einer Grundschule aufgenommen – zu den Themen: Was macht Dich glücklich? Wann fühlst Du Dich frei? Wenn Du mal nicht so glücklich bist, was hilft Dir dann? Was machst Du wenn Dich Corona mal so richtig nervt? Woher kommt Corona eigentlich? Wie klingt der Virus? Vieles hat sich geändert…was für Dich? Durch den Zusammenschnitt scheinen die Kinder alle gemeinsam in einem Raum gewesen zu sein.

Maik Martschinkowsky: Verwünscht / 06:09

Eine Fee gewährt einem (nicht mehr ganz jungen) jungen Mann drei Wünsche. Der möchte dafür aber erstmal die Rahmenbedingungen klären.

Sarah Marie Meinert: Miss Kommunikation 2.0 / 35:53

Eine Erinnerung ausgestalten und die bessere Geschichte erfinden. Das ist doch mal Selbstkundgabe über Irrelevanz. Und die Sprache? Ist nicht echt. Ist verdichtet. Ist aufgeschrieben. Ist der Idiolekt eines Schauspielers in der Improvisation eines Charakters. Hab ich jetzt voll nicht naturalistisch skizziert (zum Beispiel). Echt ist nur: wir haben uns nicht verstanden. Du hast Alien gesprochen und ich hab Französisch gegoogelt. Oder so.

Irene Aurora Paci: Io sono il filo / 10:56

Io sono il filo is the audio tale of a workshop gathering new-mothers around embroidery. All these women live in a neighborhood in the easter suburbs of Rome and come from different countries: Egypt, Morocco, Congo, Senegal … Through embroidery they tell each other about their childhood, migration and parental experience.

 „Io sono il filo“ ist die Audiogeschichte eines Workshops, der neue Mütter rund um die Stickerei versammelt. Alle diese Frauen leben in einem Viertel in den östlichen Vororten von Rom und kommen aus verschiedenen Ländern: Ägypten, Marokko, Kongo, Senegal … Durch die Stickerei erzählen sie sich gegenseitig von ihrer Kindheit, Migration und elterlichen Erfahrungen.

Franziska Pester & Josh Merlis: PROUD-SPIDER-O-MOVE / 06:58

Josh Merlis kreierte das Programm: „Synaesthetic,“ das es möglich macht, Bilder in Klänge umzuwandeln. Pester und Merlis machten Bilder und nahmen Sounds in Ihren Wohnungen auf. Die Bilder zeigen Stellen, an denen sie Sounds wahrnahmen, welche eventuell durch die Waschmaschine der Nachbarn oder durch Renovierungsarbeiten selbiger entstanden. Weiter beschäftigten sich Merlis und Pester mit dem Phänomen des Echos. Viele O- Worte kommen als Echosampels in einem flirrenden Rauschen zum Klingen.

Raststättentheater: Ich höre weiter / 10:00

Corona bricht in Deutschland aus. Auf den Straßen Autos mit Lautsprechern auf dem Dach, die einen darum bitten zu Hause zu bleiben. Auf allen Kanälen: Fallzahlen, Pressekonferenzen und Masken-Tutorials. Gleichzeitig Wohnungen, in denen Menschen verzweifelt versuchen über Skype eine Verbindung mit der Außenwelt herzustellen. Was passiert wenn man das Ohr gegen diese Wohnungstüren presst und lauscht? Was tritt zu Tage, wenn alles normale Leben wegfällt?

Karolina Szulejewska: U8 / 20:00

Die U8 ist viel mehr als ein Verkehrsmittel, das Fahrgäste von A nach B bringt. Sie ist ein einmaliger Mikrokosmos, in dem man Berlins Diversität mit allen Sinnen erleben kann. In einem Waggon kann man mehr Sprachen hören als man Finger an beiden Händen zählen kann, Die U8 hat einen wilden Stil, sie wird die Freak- Drogen- und Bettlerlinie genannt. Wer sind die Fahrgäste? Eine Erinnerung an die bunte, laute Welt ohne Abstand.

Mareike Trillhaas: 30 auf 60 / 02:33

Ein Publikum wird über Funkansagen gesteuert, aber es gibt ein Wesen, das zuschaut und eingreift. Was nicht als Befreiung gemeint war, gerät zum Tumult, und am Ursprungsort ist bald alles wie vorher …