Das 3. Berliner Hörspielfestival 2010 – Die Gewinner

Die Gewinner des BERLINER HÖRSPIELFESTIVALS 2010:

/// Das lange brennende Mikro

1. Platz: Der Fisch von Detlev Welker und Propellersound

Die Begründung der Jury:

Ein alternder Käfer von beeindruckender Körpergröße betrachtet sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, doch flussabwärts lauert eine Eidechse und so traut der Käfer sich nicht den Schutz der Steine zu verlassen. Er erinnert sich an eine lebensbedrohliche Gefahr aus einem früheren Leben, als er als Fisch im Wasser lebte und von der Katze getötet wurde, die ihrerseits den Überfall nicht überlebte. Der Käfer glaubt an ein Leben vor seinem heutigen, er glaubt an das Prinzip der Metamorphose – womit das Thema des Hörspiels benannt ist.Musik besteht aus der Metamorphose von Klängen und “Realitäten schaffen, bedeutet eine tonale Umgebung zu kreieren”, wie es im Gespräch der beiden Musiker, das in die doppelte Parabel von Fisch und Käfer eingebettet ist, heißt. Sie wissen, dass “Erkenntnis tönt” und sind doch verstiegen genug nicht-stimmbare Instrumente zu bauen bzw. auf ihnen zum musizieren, denn: “die Stimmung ist vorhanden, bevor ich vorhanden bin.” Dem Hörspiel gelingt eine subtile und sinnliche Verschränkung von Fabel und Musik und es reflektiert zugleich den ästhetischen Ansatz der Musiker: auf der verbalen Ebene in ihrem Gespräch und auf der Soundebene, die sich zu Spiel- und Spiegelfläche der Fabel machen. Die Komposition illustriert nicht platt die Welt des Fisches unter der Wasseroberfläche, sondern schillert in vielen fast sichtbaren Farben. Sie transformiert sich im Gleichklang mit Leben, Sterben und Wiedergeburt des Fisches – und reflektiert so ihrerseits das Thema der Metamorphose.Am Schluss wagt sich der Käfer doch noch zwischen den Steinen hervor, um ein faulendes Blatt von der Wasseroberfläche zu klauben. Die Eidechse hat er scheinbar völlig vergessen, denn die Bedrohung aus seinem früheren Leben, nämlich die Katze, ist tot. Aber wer die Realität der Fabel nicht von seiner eigenen zu unterscheiden weiß, lebt gefährlich.

W. Rindfleisch, B. Andres, Sven Ihlenfeld + Tilman Schmidt (Propellersound), M. Fersch (Foto: Jens Albrecht)
W. Rindfleisch, B. Andres, Sven Ihlenfeld + Tilman Schmidt (Propellersound), M. Fersch (Foto: Jens Albrecht)

 

2. Platz: Reset von Christopher und Frederik Dröge

In “Reset” werden auf sehr radiophone Art und Weise gleich zwei Geschichten erzählt: die eines Amoklaufs und die seiner Erforschung in einer virtuellen Umwelt. Nicht nur, dass das Stück auf die üblichen meist trivialpsychologischen oder trivialsoziologischen Erklärungsmuster für die Gewalttat eines Jugendlichen verzichtet, es diskutiert vielmehr auch die Frage der Willensfreiheit, die gegenwärtig von Teilen der Hirnforschung für obsolet erklärt wird. Außerdem wird nach dem Status von künstlichen Lebensformen gefragt und danach mit welchen Rechten sie ausgestattet werden können/sollen/müssen. Das Hörspiel “Reset” von Christopher und Frederik Dröge tut dies nicht in einem dem Plot überstülpten Diskurs, sondern in der und durch die Erzählung selbst. Rekursive Schleifen, Bestandteil eines jeden Programmcodes, werden erzählerisch fruchtbar gemacht und so werden die Wiederholungen und Redundanzen nie langweilig, sondern treiben das Stück voran. Darüber hinaus haben Dröge & Dröge für ihr Stück eine Auflösung gefunden, die alle Ebenen der Erzählung zu einen konsequenten Abschluss führt.

Christopfer Dröge, Michael Fersch, Foto: Jens Albrecht
Christopfer Dröge, Michael Fersch, Foto: Jens Albrecht

 

3. Platz: Monster von Mia Frimmer und Joe Bauer

4. Platz: Open Shell von Stella Luncke und Josef Maria Schäfers

››› Die Jury

// Das kurze brennende Mikro

1. Platz: Kennst Du schon Ken von Simon Kamphans und Matthias Lang

2. Platz: Weltbedienungsanleitung Folge 09 – Heimisch werden von Weltbetrieb (Oliver Brod, Claudia Lohmann)

3. Platz: Zukunft re-visited von Michael Kanofsky

››› Alle Hörspiele im Wettbewerb 2010 (Datenbank)

›››Das Festival-Programm 2010

Rückblick

Zum dritten Mal ist das Berliner Hörspielfestival – das Festival des Freien Hörspiels zu Ehren der Künstler und zum Vergnügen des Publikums ausgerichtet worden. 137 Einsendungen türmten sich in unserer Zentrale. Die Auswahl des Programms war dieses Jahr sehr schwierig und unsere Kiste mit verborgenen Hörspielen, die die Welt verpasst hat, quillt bald über – leider. Dafür konnten wir mit einem hochkarätigen Programm aufwarten. Besondere Publikumslieblinge waren zum Beispiel Jan Frederik Vogts vertonte Spam-Mails oder Andreas Kubitzas O-Ton-Schnipsel mit unzufriedenen Rentnern und west- verdrossenen Erfurtern.

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Die Theaterkapelle Friedrichshain Foto: Jens Albrecht

Wir präsentierten auch Stücke, die eigentlich zum tiefen Schürfen gedacht sind, weil sie sich nicht beim ersten Hören so einfach erschließen. Das funktioniert natürlich nur, wenn man in dieser atmosphärischen Dichte erzählt, wie zum Beispiel Stella Luncke und Josef Maria Schäfers mit dem Aktivisten-Thriller Open Shell. Denn nur dann kann man sich ein zweites oder drittes Mal beim Hören vergnügen und die Auflösung freilegen. Dieses Stück wurde in den Produktionsstrukturen der Autoren realisiert und vom WDR gekauft. Wer sich interessiert kann über die Datenbank Kontakt zu den Autoren aufnehmen.

Das Festival entfaltet sich erst dann, wenn uns die Hörspielkünstler auf dem Festival besuchen, sich in einem Interview vorstellen und Hintergründe beleuchtet werden.

So erfuhren wir zum Beispiel von Sebastian Hocke (Der Tod und die Kinder), dass er eigentlich mit seinem abgeschlossenen Dramaturgie-Studium an der HFF Potsdam alle Voraussetzungen erfüllt hat, sich auf eine Radio-Karriere auszurichten, aber für seine zwei bisherigen Hörspiele vorerst doch lieber eigene Produktionsstrukturen durch seine Zusammenarbeit mit Andrej Tschitschil und anderen aufgebaut hat. Seine Diplomarbeit war schließlich die erste wissenschaftliche Arbeit über das heutige sogenannte Freie Hörspiel. Zudem arbeitet Sebastian Hocke nicht nur an Hörspielen sondern auch als Dramaturg für Film- und Theaterproduktionen.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Hörspielmacherinnen und – Machern bedanken, die es möglich machten, nach Berlin in die Theaterkapelle zu reisen und so für Interview und Publikumsfragen auf die Bühne kommen konnten:

Daniel Henschke und Thomas Ölscher mit „Bis euch die Wölfe holen“,
Gina Fischer mit „Felines Katzentage“
Heiko Welker, Sven Ihlenfeld und Tilman Schmidt mit „Der Fisch“
Mia Frimmer und Joe Bauer mit „Monster“
Andreas Kubitza mit „Weil es hier schön ist“
Sebastian Hocke und Martin Bauch mit „Der Tod und die Kinder“
Jan Frederik Vogt mit „This is your penis 8—o and this is your penis on drugs 8=====o“
Christopher und Frederik Dröge mit „Reset“

Am Samstag übergaben wir dann dem Publikum bei ausverkauftem Haus die schwierige Aufgabe, über die Gewinner des Kurzen Brennenden Mikros per Stimmzettel abzustimmen.

Gewinner des Kurzen Brennenden Mikros sind:

Kennst du schon Ken? von Simon Kamphans und Matthias Lang.
Das 16 Minuten lange Hörspiel überzeugte das Publikum mit einer spannenden, fiktiven Geschichte aus einem sozialen Netzwerk wie Facebook.

Auf den zweiten Platz wählte das Publikum:

Weltbedienungsanleitung Folge 9 – Heimisch werden von Weltbetrieb.
Dahinter stecken die Hörspielschaffenden Oliver Brod und Claudia Lohmann. Die beiden lassen Berthe L.B., gesprochen von Britta Steffenhagen, beim Support der Welt anrufen. Berthe wollte aber keinen Artenschutz und keine Zuchterhalt für sich selbst beantragen.

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Dorothee Bischof, Oliver Brod, Britta Steffenhagen, Claudia Lohmann, Michael Fersch
Foto: Jens Albrecht

Der Dritte Platz wurde an Zukunft Re-visited vergeben. Michael Kanofsky zerstückelt hier das kulturelle Erbe des Science Fiction, und sortiert es wie Briefmarken. Diese beeindruckende Sammlung führt uns die stereotypen Elemente aus SF-Film und -Literatur vor und ist dabei extrem unterhaltsam.

Auf Platz vier landete der Weltenpinsler von Malte Jaurich und auf dem fünften Platz Veronas Box von Mia Frimmer.

Am Sonntag kamen wir zum Ende des Festivals mit der Preisverleihung des Langen Brennenden Mikros. 10 Hörspiele wurden nicht nur vom Publikum auf dem Festival gehört, sondern auch von einer erlesenen Jury, angeführt von Jochen Meißner, dem Jury-Präsidenten des Festivals.

Die Jury betonte, dass es insgesamt schwer war, eine Entscheidung zu fällen, weil die Qualität der Stücke fast alle vergleichbar war. Es ist eben kein Sportwettbewerb, bei dem die Maßstäbe leichter zu definieren sind. Die Jury hat verraten, dass die Beurteilung aller Stücke zwischen den Jury-Mitgliedern sehr unterschiedlich ausgefallen war, man sich aber einigen konnte.

Foto: Jens Albrecht

Es hat uns wieder enormen Spaß gemacht, solch großartige Stücke auf dem Festival präsentieren zu können und wir freuen uns jetzt schon auf das nächste Festival.